Ich nutze inzwischen “movement puzzles” (Bewegungspuzzles) sehr gerne im Pferdetraining und bin immer wieder überrascht, wie selbstständig und schnell Pferde auf diese Art lernen können und Bewegungen entwickeln.
Für mich persönlich war es anfangs eine Herausforderung diese in mein Training zu integrieren.
Zuerst muss man sich etwas näher damit beschäftigen, was man eigentlich will und was damit alles zusammenhängt. So hört man z.B. immer wieder, dass Pferde einen starken Rücken brauchen, um einen Reiter tragen zu können. Aber was bedeutet das eigentlich?
Eigentlich brauchen sie eine starken Rumpf, also starke Bauchmuskeln und eine starke thorakale Schlinge – nicht wie man vll vermuten könnte, starke Rückenmuskeln. Diese kommen an anderer Stelle ins Spiel.
Auch möchte ich eine starke Hinterhand, die Last aufnehmen kann.
Die Kenntnis der Anatomie des Pferdesn und Biomechanik seiner Bewegungen ist Voraussetzung für die zielführende Gestaltung eines “movement puzzles”.
Planung und Kreativität
Wenn man sich dann näher damit beschäftigt hat, was man eigentlich trainieren möchte, heißt es, kreativ zu werden.
Wo kommen diese Bewegungen in der Natur vor, wann setzt das Pferd diese Bewegungsfähigkeiten von sich aus ein? Und wie kann ich diese in meinem Training “hervor kitzeln”?
Dabei nutze ich entweder die Natur (ja, ich gehe gerne raus) und nutze bergauf-bergab, verschiedene Böden, Äste, Wurzeln, gerade Strecken und gewinkelte Waldwege für verschiedene Fähigkeiten.
Aber natürlich trainieren wir auch zuhause auf dem Platz. Dabei nutze ich fast immer instabile Untergründe. Diese trainieren ganz nebenbei die Rumpfmuskulatur, Balance und Koordination.
Stangen und Hütchen kommen auch gerne zum Einsatz, aber am liebsten in zufälliger, quasi chaotischer Form. So kann das Gehirn eigene Lösungen finden.
Anstatt über drei hintereinander liegende Stange traben zu lassen, lege ich Dualgassen als Stangenmikado aus und das Pferd entscheidet selbst, wie schnell und in welcher Form es dieses überwinden möchte.
Anstatt Slalom durch 5 Hütchen zu gehen mit der immer gleichen Winkelung in einer bestimmten Geschwindigkeit, lasse ich das Pferd durch einen Hütchenwald gehen, traben oder galoppieren. Es entscheidet selbst, ob es um die Hütchen herum oder darüber steigen will.
Erwartungen
Ein interessanter Nebeneffekt dieses Trainingsaufbaus ist es, dass man seine eigenen Erwartungen kennenlernt und irgendwann loslässt.
Während man bei “correct movement puzzles” relativ klare Erwartungen hat, was passieren soll, darf man diese loslassen, wenn man sich an “movement puzzles” probiert.
Anfangs bin ich noch mit einer bestimmten Erwartung an eine Trainingseinheit herangegangen und wollte gewisse Bewegungen vom Pferd sehen, um diese dann zu verstärken.
Ich habe eine gewisse Ausführung erwartet, habe mir “korrekte” Bewegungen gewünscht. Oft bin ich in alte Muster zurückgefallen und habe korrigiert, wenn die Bewegung nicht so ausgesehen hat, wie ich es mir vorgestellt habe.
Mit der Zeit ist mir aufgefallen, dass die Pferde zwar oftmals nicht das machen, was ich erwartet hätte, aber stattdessen Bewegungen anbieten, die ich niemals erwartet hätte. So entstand die erste levade-ähnliche Bewegung nicht wie erwartet durch meine Körpersprache, sondern aus der Intrinzen Core Posture und dem Spiel mit der Poolnudel.
Das Loslassen von Erwartungen führt auch dazu, dass man mit offenen Augen und Vorfreude an jede Trainingseinheit herangeht.
Ohne Erwartungen gibt es keine Enttäuschungen, nur Überraschungen.
Selbstständigkeit und Mut
Noch faszinierender war, dass die Pferde mit der Zeit aktiv eigene Ideen eingebracht haben. So habe ich oftmals Puzzles aufgebaut, um später feststellen zu müssen, dass das Pferd damit oder mit etwas ganz anderem auf ganz neuartige Weise interagiert.
Ský hat tatsächlich eigene Übungen vorgeschlagen und, wenn ich meine Augen geöffnet habe und dies erkannt habe, musste ich feststellen, dass er oft bessere Ideen hatte als ich und viel intensiver trainieren wollte, als ich vermutet hätte.
Hierbei möchte ich noch erwähnen, dass ich vielleicht anders “klicke” als andere. D.h. auch wenn ich ein Puzzle aufbaue und eine gewisse Lösung erwarte, verstärke ich alle möglichen Ideen des Pferdes. Ich klicke also nicht nur für zielführende Lösungen, sondern teilweise auch einfach für Interesse an der Übung. Außerdem klicke ich, wenn das Pferd eine Idee einbringt. Ich klicke, wenn das Pferd mehr Einsatz zeigt als erwartet, auch wenn dieser Einsatz vielleicht anders ist, als ich es mir vorgestellt habe.
Dabei habe ich den Eindruck, dass die Pferde mutiger und selbstständiger werden. Sie wissen, egal, was sie ausprobieren, ich bin dabei und freue mich über ihre Motivation und ihren Einsatz. Nur, wenn eine Bewegung gänzlich gesundheitsschädigend ist, verstärke ich nicht, sondern schlage vor, diese abzuwandeln.
Ob es so ist oder ich das nur subjektiv so empfinde, kann ich nicht einschätzen. Rein empirisch sehe ich, dass die Pferde in unserem Stall sehr neugierig sind, sie laufen bei Gefahr nicht davon, sondern bleiben bei mir, sie stellen sich neuen Aufgaben motiviert und experimentierfreudig. Ihre Motivation kennt keine Grenzen, sie sind dabei aber nicht aufdringlich oder kopflos, sondern überlegt und voller Stolz.
Frust bei Bewegungspuzzles vermeiden
Der Vorteil von “correct response puzzles” ist es, dass, wenn der Aufbau kleinschrittig genug ist, das Pferd genau weiss, was von ihm verlangt wird. Die Anweisungen sind klar, die Korrekturen einfühlsam und fair und es hat viele kleine Erfolgserlebnisse auf dem Weg zur korrekten Bewegung.
Bei “movement puzzles” versuche ich immer besonders gut die Anforderungen an die Fähigkeiten des Pferdes anzupassen.
Während ein ausbalanciertes, koordiniertes Pferd einen Hütchenwald mit zehn Hütchen ohne Probleme im Trab bewältigen kann, kann ein junges Pferd, das seine Beine noch nicht ganz sortieren kann, dieselbe Übung im Schritt mit drei Hütchen schaffen.
Ich persönlich vermeide Frust des Weiteren dadurch, dass ich bereits den Versuch einer Lösung klicke und nicht erst auf die vollständige korrekte Lösung warte. Ich verstärke auch, wenn das Pferd eigene, vielleicht unkonventionelle Lösungen ausprobiert. So vermeide ich Frust durch empfundene Fehlversuche.
Als letzte Instanz haben alle meine Pferde sogenannte “Defaults”, also Bewegungen bzw. Übungen, die sie gut beherrschen, die ich immer als sinnvoll ansehe. Diese dürfen sie immer anbieten, wenn sie entweder nicht weiter wissen oder denken, dass sie ein Leckerli verdient haben.
Variabilität
Ein Punkt, der “movement puzzles” für mich so interessant macht, ist auch, dass ich Variabilität ins Training bringen kann. Variabilität hat für mich eine wichtige Bedeutung in der Bewegungskompetenz. Denn wenn sich mein Pferd nur auf dem Reitplatz unter meiner Aufsicht korrekt bewegt, hat es davon ja noch nichts. Erst, wenn es seine Bewegungskompetenz auf andere Bereiche übertragen kann, habe ich erreicht, was ich erreichen wollte – ein selbstständiges Pferd, das sich funktionell bewegt.
Da ich aber nicht jede Situation, mit der mein Pferd konfrontiert werden wird, trainieren kann, achte ich von Anfang an darauf, dass ich mein Training so variabel wie möglich gestalte.
Variabel bedeutet dabei, dass ich seine Bewegungskompetenzen bereits im Training unter verschiedenen Umständen abfrage. Nur weil mein Pferd den Pantherwalk auf dem Reitplatz im Kreis kann, bedeutet das noch lange nicht, dass es das auch bergauf über Wurzeln kann.
Wichtig ist dabei, dass ich meine “movement puzzle” zufällig, fast schon chaotisch gestalte. Statt drei gleich hoher Stangen in gleichmäßigem Abstand, nutze ich verschieden große Äste in unterschiedlichem Abstand.
Das Gehirn soll sich nicht darauf verlassen, dass es weiss, wie es über genau diese Stange auf einer ebenen Fläche steigt. Es soll wissen, dass es seine Umwelt wahrnehmen muss und die Bewegung angepasst an die Umwelt ausführen muss.
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